Seltener Verlust der Muttersprache
Aufgrund des rapiden Fortschritts der Technik stellen Fragen medizinischer Art die Experten in der heutigen Zeit kaum noch vor größere Probleme. Ganz anders ergeht es zurzeit Forschern aus Italien. Diese stehen im Fall eines Landsmannes, der nach einer Hirnerkrankung plötzlich nur noch französisch spricht, aktuell vor einem großen Rätsel.
Der auf den ersten Blick äußerst skurrile Fall wird von den Wissenschaftlern Sergio Della Sala, Angela de Bruin und Nicoletta Beschin in einer Ausgabe des Fachmagazins „Cortex“ geschildert. Der Mann, der von den behandelnden Ärzten lediglich „JC“ genannt wird, verlor durch eine Schädigung des Hirns plötzlich seine Muttersprache und kann sich seither ausschließlich in französischer Sprache ausdrücken.
Des Französischen war der 50-jährige zwar bereits seit mehr als 30 Jahren mächtig, der Wissensstand ging in dieser Zeit allerdings nie über einfaches Schulfranzösisch hinaus. Sein Sprachtalent wurde durch die Erkrankung auch nicht etwa gefördert, Vokabular und Formulierungen entsprechen exakt dem Stand aus der Schulzeit. Für den Mann ist dies kein Hinderungsgrund, mit seiner Umwelt und den Mitmenschen auf Französisch zu interagieren. Dabei lässt er sich auch von der Tatsache nicht hindern, dass diese ihn kaum verstehen können.
Die Ursachen der Störung
Die Forscher machen körperliche Ursachen für den Verlust der Muttersprache verantwortlich. Schon seit einiger Zeit ist „JC“ wegen einer Wasseransammlung im Gehirn in Behandlung, die von einer Erweiterung eines Blutgefäßes im Hirnstamm hervorgerufen wurde. Grundsätzlich verlief diese Behandlung ohne jedwede Komplikation – lediglich die Veränderung der Sprache stellt die Mediziner für ein aktuell nicht zu lösendes Problem.
Sie vermuten bisher, dass es sich dabei um eine Form einer manischen Zwangsstörung handelt, die von der Hirnerkrankung hervorgerufen wurde. Das Team aus italienischen Wissenschaftlern möchte sich auch in Zukunft weiter mit JC auseinandersetzen, um dieses Phänomen weiter beobachten und beschreiben zu können. Denn da vergleichbare Erkrankungen selten sind, existieren kaum medizinische Erkenntnisse darüber.
JC, ein Franzose durch und durch
Besonders kurios an dieser Geschichte ist aber nicht allein die Tatsache, dass er mit seinen Mitmenschen ungehemmt auf Französisch kommuniziert. Laut Aussagen seiner Ehefrau und der Ärzte weist er Verhaltensmuster auf, die an eine „typische Karikatur eines Franzosen“ erinnern. So backe er in seiner Freizeit beispielsweise ständig Brot, koche ausschließlich landestypisches Essen und begrüße die Leute mit einem lauten „Bonjour“.
Wohlgemerkt, des Italienischen ist er trotz allem weiterhin mächtig – er will es in seinem Alltag aus unerklärlichen Gründen aber nicht weiter benutzen. Lediglich im Schriftverkehr und nach ausdrücklicher Aufforderung drückt er sich ohne Einschränkungen in seiner Muttersprache aus. Seine Gedanken finden offensichtlich aber auf Französisch statt.
Ähnliche medizinische Phänomene
Ein ähnlicher Fall wurde in den letzten Jahren lediglich bei einer 94-jährigen Patientin aus China beobachtet. Nach einem Schlaganfall war die pensionierte Englischlehrerin plötzlich nur noch in der Lage sich in der Sprache auszudrücken, die sie ihren Schülern zuvor über viele Jahre vermittelt hatte. Zur Kommunikation in ihrer Muttersprache war sie allerdings nicht mehr fähig.
Eine Erkrankung, die von Medizinern bisher besser dokumentiert werden konnte, ist das „Foreign Accent Syndrom“. Auslöser ist auch hier meist ein Schlaganfall oder eine Hirnerkrankung, die Auswirkungen stellen sich allerdings anders dar. Betroffene sprechen ihre Muttersprache in der Folge mit einem Akzent, den sie zuvor nicht beherrschten.
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