Auswirkungen von Lesenlernen auf das Gehirn

Auswirkungen von Lesenlernen auf das Gehirn

Was passiert eigentlich genau beim Lesenlernen im Gehirn eines Erwachsenen? Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig haben gemeinsam mit einem internationalen Team das Erlernen der Schriftsprache bei Erwachsenen untersucht. Als Ziel dieses Experiments galt es herauszufinden, welche Auswirkungen das Lernen von Lesen auf das menschliche erwachsene Gehirn hat.

Das Erlernen von Lesen und Schreiben sind sehr junge kulturelle Fortschritte in der Entwicklung des Menschen, sodass im Gehirn kein spezielles Areal dafür vorhanden ist. Beim Erwerb der Schriftsprache kommt es demzufolge zu einer neuronalen Umstrukturierung. Wie diese funktioniert, haben Wissenschaftler des Leipziger Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften gemeinsam mit Forschern aus Indien und den Niederlanden in einer Studie genauer unter die Lupe genommen.

Analphabetinnen für Studie getestet

Für die Studie haben die Wissenschaftler Versuche in Indien durchgeführt, da die Anzahl der Analphabeten von circa 40 Prozent dort sehr hoch liegt. Insbesondere Frauen bleibt die allgemeine Schulbildung häufig verwehrt. Dementsprechend haben auch ausschließlich weibliche Versuchspersonen im Alter zwischen 24 und 40 Jahren an der Studie teilgenommen. Der Großteil dieser Frauen schaffte es vor dem Experiment nicht, auch nur ein einziges Wort ihrer eigenen Hindi Sprache zu entziffern. Nach einem sechsmonatigen Unterricht zeigten die Teilnehmerinnen allerdings bereits erste Erfolge und besaßen ein vergleichbares Lese-Niveau von Schulkindern aus der ersten Klasse.

Besonders auffallend und beeindruckend war der Wissenszuwachs der Versuchspersonen. Das Forscherteam geht davon aus, dass es Erwachsenen deutlich leichter fällt das Lesen zu erlernen, anstatt einer neuen Sprache. Des Weiteren konnte das Team neuronale Veränderungen im Gehirn erkennen.

Veränderungen des erwachsenen Gehirns

Die Wissenschaftler sind bisher davon ausgegangen, dass sich die neuronalen Veränderungen lediglich auf die äußere Großhirnrinde reduzieren würden. Der begonnene Lernprozess verdeutlichte allerdings, dass weitaus mehr grundlegende Umstrukturierungen in Gang gesetzt werden. Diese Veränderungen reichen bis in den Hirnstamm und den Thalamus, demzufolge also in eher alte Hirnareale.

So ließ sich nach den sechs Monaten Unterricht bei den Teilnehmerinnen erkennen, dass das „Pulvinar“ im Thalamus, sowie die „Colliculi superiores“ im Hirnstamm in den Aktivitätsmustern zeitlich weitaus enger an die visuellen Areale auf der Großhirnrunde gekoppelt waren. Dabei war deutlich zu sehen, dass bei Frauen die bereits eine besonders ausgeprägte Lesefähigkeit besaßen, sich die Signale der unterschiedlichen Hirnregionen viel stärker aneinander angeglichen haben als bei den Teilnehmerinnen, dessen Lesekenntnisse noch nicht so fortgeschritten waren.

Neues Wissen zur Analphabetismus

Den Ergebnissen der Studie zufolge geht das Team der Wissenschaftler aus Deutschland, Indien und den Niederlanden nun davon aus, dass die erkennbaren neuronalen Veränderungen verantwortlich dafür sind, dass das Gehirn sich aus der Masse an visuellen Reizen die wirklich relevanten und wichtigen Informationen leichter herausfiltern kann.

Der beeindruckende Lernerfolg der Versuchspersonen ist zudem ein Hoffnungsschimmer für Analphabeten im erwachsenen Alter. Gleichzeitig zeigt die Studie auch neue Erkenntnisse in Hinblick auf die Gründe der Lese-Rechtschreib-Schwäche. Denn bisher gingen Forscher davon aus, dass eine Fehlfunktion des Thalamus der mögliche Grund für Analphabetismus ist. Diese Annahme muss unter Betrachtung der aus der Studie hervorgehenden Ergebnisse, der neuronalen Veränderungen des erwachsenen Gehirns, allerdings noch einmal komplett neu hinterfragt werden.

 

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