“Containern” – Symptom einer Wegwerfgesellschaft?

"Containern"

Eschwege im Nordosten von Hessen kann nicht gerade behaupten, häufig im Scheinwerferlicht des Medieninteresses zu stehen. Trotz einer sehenswerten Altstadt mit einer großen Zahl an gut erhaltenen Fachwerkhäusern gehen die rund 20.000 Einwohner dieser Kleinstadt in der Regel ungestört ihrer Dinge nach. Das änderte sich im Februar dieses Jahres, als am dortigen Gericht die Verhandlungen um einen Fall begannen, der bundesweit für Aufsehen sorgte: Auf der Anklagebank saßen drei Studenten aus dem etwa 30 Kilometer entfernten Witzenhausen; ihnen wird schwerer Einbruchdiebstahl vorgeworfen. Das allein mag noch wenig für Verwunderung sorgen, doch vielmehr sind es die genauen Umstände der Tat, die das allgemeine Interesse weckten:

Alles begann mit einer routinemäßigen Verkehrskontrolle in einer Nacht im Juni 2013; im Fahrzeug der drei Angeklagten machten die Polizeibeamten dabei einen Fund, der später zum Strafbefehl führen sollte: Mehr als 100 Lebensmittel stellte man sicher, nach Annahme der Staatsanwalt sollen diese einem Markt des Unternehmens Tegut entstammen, einer Filialkette, die bundesweit Bio-Lebensmittel vertreibt. Doch die im Wagen der Studenten gefundene Ware soll nicht etwa aus einem Tegut-Markt selbst entwendet worden sein, sondern allein aus Produkten bestehen, die nicht mehr zum Verkauf angeboten werden konnten und daher in einem Container außerhalb des Markts gelagert wurden. Was den drei Angeklagten also vorgeworfen wurde, ist das sogenannte „Containern“: Lebensmittel aus den Abfallcontainern der Supermärkte zu fischen, ist zu einem Phänomen geworden, dass viele Menschen weniger aus finanziellen Gründen antreibt; vielmehr sind es ideologische Motive, quasi die Gegenwehr zur „Wegwerfgesellschaft“, wie sie zum Beispiel 2011 der Dokumentarfilm „Taste the Waste“ porträtierte: Der Film zeigt, wie beispielsweise sogenannte Mülltaucher in Österreichs Hauptstadt Wien ihren Nahrungsmittelbedarf fast ausschließlich mit dem Durchstöbern von Abfallcontainern decken. Oder dass ein einziger Supermarkt ein Abfallvolumen von bis zu 500 Tonnen pro Jahr erzeugen kann. Oder dass im Gebiet der EU etwa 90 Millionen Tonnen an Lebensmitteln aus den Regalen direkt zu den Mülldeponien verfrachtet werden.

Doch allein den Supermärkten und Discountern die Schuld für die regelrechten Abfallorgien in die Schuhe zu schieben, wäre zu kurz gegriffen, den auch die meisten Verbraucher gehen alles andere als zimperlich mit dem Wegwerfen von Lebensmitteln um: Laut einer Studie der Universität Stuttgart im Auftrag des Verbraucherschutzministeriums wandern pro Jahr etwa 82 Kilogramm Nahrungsmittel pro Kopf in den Abfalleimer, insgesamt sind das jährlich 6,7 Millionen Tonnen. Dabei ist besonders brisant: Die Wissenschaftler der Studie haben herausgefunden, dass rund 65 Prozent des Abfallguts durchaus noch essbar sei.
Auf diese Umstände aufmerksam zu machen, war und ist auch das Ziel der drei Studenten aus Hessen, die am 20. Februar dieses Jahres, am zweiten Prozesstag, freigesprochen wurden – aus Mangel an Beweisen. Vor der Urteilsverkündung nutzten alle drei Angeklagten die Möglichkeit, vor Gericht für einen bewussteren Umgang mit unseren Lebensmitteln zu plädieren.

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