Neunmalklug – Die Illusion von Wissen

Schon Sokrates sagte “Ich weiß, dass ich nichts weiß” und erwies sich genau damit als besonders weise. Denn kluge Menschen wissen über ihren begrenzten Wissenshorizont Bescheid. Aber immer mehr Menschen behaupten von allem eine Ahnung zu haben, obwohl sie kaum etwas wissen.

Overclaiming

Drei Forscher der Cornell-Universität in New York haben sich jetzt mit solchen Kandidaten beschäftigt. Ihr Fazit lautet, dass Menschen, die sich in einem bestimmten Bereich als überdurchschnittlich bewandert fühlen, genau zu diesem Thema auch den größten Unfug erzählen. Abgeschwächt ist dies auch bei tatsächlichen Experten zu sehen. Die Wissenschaftler nennen dieses Verhalten “Overclaiming”. Das bedeutet das Vorgeben von einer Kenntnis von Dingen, die es in Wahrheit gar nicht gibt. In der Studie sollten 100 Versuchspersonen zunächst ihre Kenntnisse zum Thema Finanzen mit einer Note bewerten. Anschließend sollten sie 15 Fachbegriffe definieren – tatsächlich waren davon aber nur 12 real. Die Probanden, die sich die besten Noten zum Thema gegeben hatten, zeigten das stärkste “Overclaiming”. Sie versuchten mit aller Macht, die erfundenen Begriffe zu erklären. Das gleiche Ergebnis zeigte sich beim nächsten Schritt, als die Versuchspersonen vorab darüber informiert waren, dass sich unter den 15 Fachausdrücken drei frei erfundene Wörter befinden. Und wie im ersten Durchgang waren es, die, nach eigener Einschätzung weniger kompetenten Probanden, die die Phantomwörter erkannten und nicht erläuterten. Diese Ergebnisse zeigten sich auch nicht nur im Bereich Finanzen. Ähnliche Resultate fanden Forscher auch in den Bereichen Biologie, Literatur, Philosophie und Geographie.

Verschiedene Varianten

Die Wissenschaftler führten zur Absicherung weitere Varianten durch. Dazu gehörte auch die Förderung einer überhöhten Selbsteinschätzung. Dafür bekamen die Versuchspersonen Quizfragen zum Thema Geographie. Es gab drei Schwierigkeitsstufen, jede Gruppe erhielt eine andere. Danach wurden die Probanden über ihr Abschneiden informiert. Infolgedessen fühlten sich die Teilnehmer der leichtesten Gruppe als wahre Erdkundeexperten, da sie die meisten Erfolgserlebnisse hatten. Im anschließenden Fragebogen, erklärten sie dann wiederum gerne Phantomstädte und -plätze.

Vorsicht vor vermeintlichen Experten

Wer über ein überhöhtes Selbstbewusstsein in Bezug auf das eigene Wissen verfügt, vertritt auch leichtfertiger gewagte Behauptungen. Ihre Eloquenz nutzen sie dann, um auch nicht existierende Dinge zu erklären und zu definieren. Für Außenstehende heißt das: Bei Fragen beispielsweise zu Finanzen oder Medizin, sollte man dieses Verhalten berücksichtigen und Tipps mit Vorsicht genießen. Die Forscher stellen auch fest, dass “Overclaiming” dazu führt, dass die Betroffenen weniger motiviert sind, sich echtes Wissen anzueignen. Darüber hinaus kann die Studie nicht erklären, wie das Verhältnis von tatsächlich höherem Wissen und überhöhter Selbsteinschätzung ist. Zudem benötigt es weitere Studien, um herauszufinden, ob wirklich kluge Menschen, sich weniger häufig überschätzen. Bisher können die Forscher feststellen, dass auch tatsächliches Wissen eine eigenständige Ursache für “Overclaiming” ist – zwar in einem geringeren Ausmaß, aber dennoch erkennbar. Entscheidend sei die Ausdrucksweise: Wer über viel Wissen in einem bestimmten Bereich verfügt, hat eine sehr große Basis an Fachbegriffen. Mit diesen können sie dann andere Dinge und Phänomene aus ihrem Gebiet erklären und bewerten, was dann plausibel klingt, aber nicht unbedingt stimmt. Insgesamt sehen die Forscher im Thema “Overclaiming” noch weiteren Forschungsbedarf, etwa wann und warum Menschen so etwas zeigen. Ansonsten bestehe eine große Gefahr, nämlich die der Illusion von Wissen.