“Es liegt mir auf der Zunge”

“Es liegt mir auf der Zunge”

Strategien gegen das Vergessen

Man nennt es Tip-of-the-Tongue-Phänomen und fast jeder hat es selbst schon mal erlebt. Es ist beispielsweise der Augenblick indem man ein bekanntes Gesicht auf dem Volksfest erkennt, jedoch nicht mehr weiß woher man diesen Mensch kennt. Wie war noch sein Name? Es liegt Ihnen auf der Zunge! Fast schon greifbar. Sie suchen und wühlen im Gedächtnis und es will und will Ihnen nicht einfallen. Das ist echt frustrierend. Später, beim Zähneputzen, ist plötzlich wieder alles da: der Name und auch die Information woher Sie ihn kennen.

Vergessen ist normal und natürlich

Ausmaß und Geschwindigkeit des Vergessens sind multifaktoriell bedingt. Der Psychologe Herrmann Ebbinghaus machte 1885 einem Selbstversuch, bei dem er sinnlose Silben wie „ZOF“ oder „WUB“ zu lernen versuchte. Er stellte dabei fest, dass er bereits nach ca. 20 Minuten etwa 40 % des Gelernten vergessen hatte, nach einer Stunde 45 % und nach einem Tag 66 %. Dauerhaft werden nur 15% des Erlernten behalten. Aus diesem Selbstversuch leitete er die Vergessenskurve ab. Théodule Ribot formulierte 1882 ein Gesetz, das mit „first in, last out“ umschrieben werden kann. Dementsprechend bleiben früh gelernte Inhalte länger im Gedächtnis erhalten als später hinzugekommene. Umgesetzt wurde das auch in dem Sprichwort: „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr“. Wie viele Aphorismen dieser Art ist das natürlich überzogen.

Wie vergisst man?

Zum einen gibt es da natürlich krankhafte Veränderungen des Gehirns wie Alzheimer oder Gedächtnisverlust (Amnesie) durch ein erlittenes Trauma. Zum anderen gibt es verschiedene Theorien zum „normalen“ Vergessen: beispielsweise die Spurenverfallstheorie oder die Interferenztheorie. Eine mögliche Erklärung sind die Bedingungen während des Erlernens. Erinnern gelingt grundsätzlich besser, wenn Reize, die beim Lernen vorhanden waren, auch beim Abruf vorliegen. Einige Gedächtnisforscher sind der Meinung, dass es echtes „Vergessen“ nicht gibt, sondern es sich um ein Misslingen des Abrufs von Inhalten aus dem Speicher handelt. Auf diese Art und Weise lassen sich auch hypermnestische Phänomene in der Hypnose erklären. Erinnerungen, die verschüttet schienen, können in hypnotischer Trance wieder ins Gedächtnis zurückgeholt werden. Das vergebliche Kramen im Gedächtnis haben Harvard-Forscher mit dem Moment verglichen, kurz bevor man niesen muss. Und, wenn einem das Wort dann wieder einfällt, mit der Erleichterung danach. Das Erlebnis des Tip-of-the-Tongue-Phänomens haben wir durchschnittlich einmal pro Woche, mit zunehmendem Alter leider häufiger. Deborah Burke vom Pomona College in Oxford bestätigt das in mehreren Studien.

Welches Ergebnis haben die Studien zu diesem Tip-of-the-Tongue-Phänomen?

Das Gehirn wird heute als ein weit verzweigtes neuronales Netz aus miteinander verbundenen Knoten dargestellt. In diesem werden unter anderem Informationen zur Sprache gespeichert, sowohl die Bedeutungen von Begriffen als auch deren Klang. Deborah Burke nimmt an, dass zwar die lexikalische, nicht aber die phonologische Information, also der Klang des Wortes, vollständig abgerufen wird. In der Studie wurden die Teilnehmer geben den englischen Begriff „pylon“, also Pfeiler, aus einer Umschreibung zu erkennen. Häufig wurde von „pirates“ und „pilots“ (Piraten und Piloten) gesprochen. Burke stellte fest, dass den Probanden oft nur die erste Silbe des gesuchten Wortes einfiel, die diese mit weiteren Silben zu ergänzten. Mit zunehmendem Alter werden im Gehirn die Verbindungen zu den phonologischen Abbildungen von Wörtern schwächer. Aus diesem Grund werden im Alltag häufig absurde bis spannende Wortzusammensetzungen gebildet.

Was kann man gegen das Vergessen tun?

Deborah Burke empfiehlt das Nutzen des Gehirns. Dazu gibt es eine alte Gedächtnis-Grundregel: „Use it or loose it“. Die Verbindungen zwischen Nervenzellen müssen trainiert werden, um Signale gut übertragen zu können. Was häufig gebraucht wird. Lässt sich auch leicht abrufen und umgekehrt. Nicht gebrauchtes Wissen wird verschüttet. Christian Michel und Felix Novak haben 1990 festgestellt, dass sich Inhalte leichter merken lassen, wenn sie in Gedicht- bzw. Reimform gebracht werden. Übrigens empfehlen Merkspezialisten das Umsetzen von Inhalten in Bilder.

 

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