Die Last mit Liebe, Lust und Sex

Heilpraktiker für Psychotherapie S. John

Etwas stimmt nicht im Intimleben der Deutschen. Davon sind die Beziehungen der Personen untereinander ebenso betroffen wie die der Einzelnen zu sich selbst und zum eigenen Körper. Schon vor mehr als 10 Jahren stellten dies Mediziner der Berliner Charité in einer „Bedarfsanalyse zur Sexualmedizinischen Versorgung“ (Verlag Urban & Fischer 2000) fest. Sie bemerkten eine ganze Reihe von unterschiedlichen Phänomenen in der Bevölkerung, die entweder direkt das Sexualleben betreffen oder sich darauf auswirken. Von sexueller Dysfunktion bis zu Störungen der Geschlechteridentität reichte die Palette der in ihre Analyse einbezogenen Erscheinungen. Einige davon hatten körperliche, andere psychische Ursachen. Seitdem hat sich die Lage eher noch verschärft. Das bestätigen auch die täglichen Gesprächserfahrungen von Vistano-Beraterin Susanne John (Kennung: 5113). Mehr dazu verrät sie uns im Interview.

„Lust-Verlust“ ist nicht zuletzt eine Folge unserer Leistungsgesellschaft

„15% aller Patienten in Arztpraxen leiden heute auch unter verschiedenen Störungen ihrer Sexualität“, weiß die Beraterin. Eine Ursache dafür liegt eindeutig in den Anforderungen unserer Gesellschaft. Ihr Leistungsdruck erzeugt nicht nur Stress, der sich negativ auf die Libido und die sexuelle Funktionsfähigkeit auswirkt. „Sex selbst wird von Menschen zunehmend mit Leistungsgedanken verbunden. Da hört im wahrsten Sinne des Wortes der Spaß auf. Das Ergebnis sind zum Beispiel Überforderung und Versagensängste bei Männern. Daraus kann ein Teufelskreis entstehen: Je größer die Angst, desto häufiger treten zum Beispiel Erektionsstörungen auf. Das Ergebnis ist eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Sie kann zu Frustration und auch zu Identitätskrisen führen“, so die Psychologin. Das wiederum kann der Beginn einer Entwicklung sein, die die Betroffenen immer weiter von sich selbst und ihren Partnern entfernt.

Mehr Offenheit und Ehrlichkeit in Partnerschaften 

Tatsächlich sind es vor allem Männer, die Rat bezüglich sexueller Probleme bei Susanne John suchen. „Das ist schade, aber erklärbar. In der Psychotherapie ist die Sexualität ein junges Gebiet und so ist es auch mit der Emanzipation der Frau. Ich denke, bis in die 1960iger hatten wir Frauen nicht nur in diesem Bereich kein Mitspracherecht. Nun, da sich das geändert hat, ist es wichtig zu handeln. Denn es gibt auch genügend Frauen, die sexuelle Probleme haben. Wenn sie darüber schweigen, versäumen sie eine Chance auf ein glücklicheres Leben. Außerdem gehören zu einer Beziehung und meist auch zum Sex zwei Personen.“ Gibt es entsprechende Probleme, so lassen sich diese am besten gemeinsam lösen. Hier allerdings vermisst die Beraterin Offenheit und Ehrlichkeit in Beziehungen. Viele Schwierigkeiten ließen sich vermeiden, wenn grundsätzlich mehr und aufrichtiger miteinander gesprochen würde. Das betrifft u.a. die gegenseitigen Wünsche, Erwartungen und Bedürfnisse hinsichtlich des Sexuallebens. Oft verhindern Schamgefühl und Ängste, dass diese Themen zur Sprache kommen. Dann werden die eigenen Bedürfnisse missachtet, werden Wünsche verdrängt. Ein solches Verhalten kann in eine Distanzierung vom eigenen Körper münden. Was kann man tun, wenn sich ein Mensch in seinem Körper nicht mehr wohl fühlt und darunter das Sexualleben leidet?

Wer sich selbst ablehnt, verliert die Freude am Leben

„Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper umfasst ein breites Spektrum“, erklärt die Psychologin, „das von ‘sich nicht hübsch und attraktiv finden’ bis zur Infragestellung der sexuellen Identität reichen kann. In keinem Fall sollte es abgetan oder hingenommen werden. Doch je größer die Distanz zum eigenen Körper ist, desto gravierender sind die Folgen.“ Die Fragen, die in diesem Zusammenhang deshalb zu stellen sind, lauten: Wie wird diese Distanz wahrgenommen? Was bedeutet sie für einen Menschen? Woher rührt diese gestörter Wahrnehmung der eigenen Person? Die Ursachen sind so zahlreich und unterschiedlich wie ihre Auswirkungen. Sie reichen von Anpassungsstörungen über seelische Verletzungen durch negative Kritik bis hin zu sexuellem Missbrauch und zu Transsexualität. „Bei weniger gravierenden Störungen des Selbstbildes kann durch einen Perspektivenwechsel und eine Überprüfung der eigenen Maßstäbe schon viel erreicht werden. Es geht darum, nicht mehr den eigenen Körper mit Distanz zu betrachten, sondern die Einstellung zu ihm. Wirklich tiefgehende Störungen können nur in einer Therapie behoben werden.“ In jedem Fall bedeutet die Unzufriedenheit mit der eigenen Erscheinung einen deutlichen Verlust an Lebensqualität. Er kann die Folge oder der Auslöser von Depressionen sein und sollte daher auf keinen Fall einfach akzeptiert werden. Doch was ist, wenn sich Probleme im Sexualleben dadurch ergeben, dass man den Partner oder die Partnerin nicht mehr attraktiv findet – obwohl man diesen Menschen noch immer liebt?

Man muss wissen, wen und was man liebt und auch, was das bedeutet

Was man in einer Beziehung zu tun bleibt, wenn die Anziehung zwischen den Beteiligten trotz aller Liebe nachlässt, berührt mehrere Fragen. Die eine ist: Was bedeutet Liebe? Die andere lautet: Was bedeutet Sexualität für die Liebe? „Wirkliche Liebe ist ein wunderbares und großes Gefühl. Sie gibt Raum für sehr viele Dinge und damit auch für ganz unterschiedliche Problemlösungen. Sex ist eines der stärksten menschlichen Bedürfnisse. Es existiert unabhängig von der Liebe zu einem bestimmten Menschen, so wie diese auch unabhängig von Sex existiert. Idealerweise ist in einer Partnerschaft beides miteinander so verbunden, so dass die Beziehung dadurch zusätzliche Stärkung erfährt“, sagt Susanne John. „Wenn sich das ändert, dann sollte man zuerst einmal fragen: Warum eigentlich?“ Was ist anders geworden? Nimmt man die Partnerin oder den Partner anders wahr als zuvor? Wenn ja, was hat dieses Gefühl der Veränderung ausgelöst und wie wichtig ist es? Oder hat sich eine reale Veränderung ergeben? Wenn ja, an wem von beiden? Fehlt etwas in der Beziehung oder gibt es etwas im Überfluss, das stört? Sind es physische oder psychische Ursachen, die die Attraktivität der Partnerin oder des Partners für einen verändert haben? „Dies ist wieder einer der klassischen Momente, in denen Offenheit gefragt ist“, so die Psychologin, „Offenheit sich selbst und der Partnerin oder dem Partner gegenüber.“ Wenn in einer Beziehung solche Fragen auftauchen, sollten sie angesprochen und gemeinsam erörtert werden. Dazu müssen beide bereit sein, ihre Empfindungen, doch auch ihre Wünsche und Bedürfnisse vor einander offenzulegen.

 

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